Nach sieben Jahren als Geschäftsleiterin und stellvertretender Geschäftsleiter wechseln Marianne Pfister und Cornelis Kooijman in eine Co-Geschäftsleitung. Dadurch verteilt sich das operative Tagesgeschäft auf mehrere Personen und es bleibt mehr Zeit und Raum für die strategische Weiterentwicklung. Wieso dieser Schritt nicht bloss eine Formsache ist, weshalb dieser Wechsel auch als Machtverlust angesehen werden kann und was eine Co-Leitung mit zwei den Berg hochfahrenden Gondeln gemein hat; dies und mehr gibt es in diesem Blogbeitrag zu lesen.
Marianne Pfister und Cornelis Kooijman teilen sich seit September 2022 die Leitung der Spitex Schweiz, welche als Dachverband der Spitex Kantonalverbände und weitere Organisationen für professionelle Pflege und Unterstützung zu Hause agiert. Zuvor waren beide bereits in der Organisation tätig, Marianne gut 7 Jahre als Geschäftsführerin, Cornelis ebenso lange als Leiter Grundlagen & Entwicklung und stellvertretender Geschäftsführer.
Stephanie Briner: Wieso habt ihr euch für eine Co-Leitung entschieden und nicht das Modell «Geschäftsführung und stv. Geschäftsführung» beibehalten?
Cornelis Kooijman: Der Wechsel in die Co-Geschäftsführung war ein Prozess, welcher sich über eine längere Zeit hinweg entwickelt hat und wir rund eineinhalb Jahre zuvor angestossen hatten. Wir sind damals nicht mit der Idee einer Co-Geschäftsführung in diesen Prozess gestartet, sondern haben uns leiten lassen von der Frage: «wie sehen wir unsere Rollen und wie sehen wir die Geschäftsführung von diesem Verband in Zukunft?». Das Modell Co-Geschäftsführung hat sich daraus ergeben. Wir haben sozusagen einen grossen Weg zurückgelegt, um am Schluss zu einer simplen Lösung zu gelangen.
Ich war als stellvertretender Geschäftsführer bereits Sparringpartner von Marianne und dachte, der Schritt in die Co-Leitung sei ein mehrheitlich formeller Schritt. Jetzt, wo wir die Co-Leitung leben, realisiere ich, dass es doch etwas anderes ist, Co-Leiter und eben nicht stellvertretender Leiter zu sein. Ich habe eine andere Rolle inne und werde sowohl von Mitarbeitenden wie auch von Aussen anders wahrgenommen.
Marianne Pfister: In der Rolle der Geschäftsführung von Spitex Schweiz verantwortet man eine unglaubliche Breite an Themen. Bei all diesen Aufgaben, die eine Vielzahl an Entscheidungen fordern, bleibt oft keine Zeit, um übergeordnet, strategisch zu denken. Diese Problematik hat mich immer wieder beschäftigt.
«Jetzt wo wir die Co-Leitung leben, realisiere ich, dass es doch etwas anderes ist, Co-Leiter und eben nicht stellvertretender Leiter zu sein.»
SB: Euer Ziel war es, mehr Zeit und Raum zu bekommen, um euch strategischen Fragestellungen zu widmen. Was hat dazu geführt, dass ihr heute mehr Freiräume für eben diese Themen habt?
MP: Wir haben einerseits systematisch die Bereiche unter uns aufgeteilt. Cornelis ist für HR, Finanzen, Grundlagen und Entwicklung sowie die Gebiete Romandie und Tessin zuständig. Ich bin zuständig für die Bereiche Politik, Kommunikation, Verbandsführung und Deutschschweiz. Dies natürlich in enger Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung und unseren Fachpersonen. Andererseits haben wir den Ansatz der agilen Führung konsequent ausgebaut. Wir verstehen darunter, die Mitarbeitenden darin zu bestärken, selber mitzugestalten und Verantwortung zu übernehmen.
Dies hat mich zeitlich und thematisch stark entlastet. Im ersten halben Jahr war das noch nicht der Fall. Ich habe oft überlegt: «denkt er jetzt an dies oder das?» und konnte noch nicht richtig loslassen. Ich musste diesbezüglich einen eigenen Prozess durchlaufen und lernen, Verantwortung abzugeben. Jetzt – nach einem dreiviertel Jahr – ist das weg. Ich konnte wirklich abgeben und der Kopf ist nun viel freier.
CK: Ein Topsharing, wie wir das leben, kann nicht nur isoliert auf unsere Funktion betrachtet werden. Ein solches Modell bringt die ganze Organisation in Bewegung.
«Ich konnte wirklich abgeben und der Kopf ist nun viel freier.»
SB: Was sind aus eurer Perspektive die entscheidenden Faktoren, damit die Umstellung von einer Einzelleitung zur Co-Leitung gelingt?
CK: Wir haben für uns das Bild kreiert von zwei parallel den Berg hochfahrenden Gondeln. Den Übergang vom Modell «Einzelleitung» in das Modell «Co-Leitung» verstehen wir nicht als Transformation, bei welcher Marianne Macht abgibt und ich mehr Verantwortung übernehme und wo wir uns – sie von oben ich von unten kommend – in der Mitte treffen. Sondern wir sehen die Co-Leitung als Modell, bei welchem wir beide eine neue Rolle übernehmen und uns beide parallel in eine neue Richtung entwickeln. Dieses Bild hat uns geholfen, unsere neue Rolle zu finden.
SB: Wie haben die Mitarbeitenden und externe Anspruchsgruppen reagiert?
CK: Wir haben durchwegs positive Reaktionen erhalten. Wir wurden schon vor der Co-Leitung als gutes Team wahrgenommen und man hat uns zugetraut, dass wir eine Zusammenarbeit pflegen, die in der Co-Leitung funktioniert. Eine Zusammenarbeit basierend auf Transparenz, Vertrauen und Ehrlichkeit. Marianne war auch als meine Vorgesetzte schon immer kritikfähig. Das hat mir das Vertrauen gegeben, in diese Rolle hineinwachsen zu können, im Wissen, dass wir uns gegenseitig auch kritisieren dürfen. Wir hatten eine gute gemeinsame Basis, welche durch den Prozess noch gestärkt wurde. Eine Co-Leitung kann nur funktionieren, wenn man ehrlich zueinander ist und sich akzeptiert.
«Eine Co-Leitung kann nur funktionieren, wenn man ehrlich zueinander ist und sich akzeptiert.»
SB: Gab es auch Momente, wo eure Co-Leitung von anderen Personen nicht akzeptiert wurde?
MP: Ich war bis anhin der Kopf der Spitex Schweiz. Es brauchte eine Weile, bis die Aussenwelt uns als Co-Leitung wahrgenommen hat. Da war auch ein bewusstes Zurückstehen von mir nötig. Auch haben mich einige Personen gefragt, ob ich degradiert worden sei und was mich bewogen habe, die Leitungsrolle abzugeben.
CK: Für uns ist es selbstverständlich, dass Verantwortung geteilt werden kann und dass die geteilte Verantwortung nicht einem Machtverlust gleichkommt. Wir haben uns im ganzen Prozess nie überlegt, dass dies als Abstieg wahrgenommen werden könnte. Ich wurde mal gefragt, ob ich «am drängeln» sei und unbedingt Mariannes Position möchte. Uns hat dies aufgezeigt, wie fremd das Thema Co-Leitung vielen Menschen noch ist.
MP: Und wir thematisieren zudem, wer welche Art von Verantwortung wahrnimmt. Beispielsweise bedeutet eine Bogenkarriere für mich nicht, mit zunehmendem Alter weniger Verantwortung wahrzunehmen. Oft ist die Verantwortung eine andere und verschiebt sich mehr auf die strategische Ebene. Wenn jemand beispielsweise ein Präsidium übernimmt, ist diese Person zwar vom hektischen, operativen Tagesgeschäft entlastet, trägt aber dennoch eine grosse Verantwortung.
«Für uns ist es selbstverständlich, dass Verantwortung geteilt werden kann und dass die geteilte Verantwortung nicht ein Machtverlust bedeutet.»
SB: Ilona und Yvonne vom Elternnotruf mussten den Vorstand in verschiedenen Gesprächen von den Vorteilen einer Co-Leitung überzeugen. Auch ihr werdet in eurer Funktion durch einen Vorstand gewählt. Was brauchte es in eurem Fall, um den Vorstand zu überzeugen?
MP: Cornelis war stets an den Vorstandssitzungen dabei und hatte seine Themen selber vertreten. Für den Vorstand war folglich vieles schon bekannt. Zudem haben wir uns entschieden, eine externe Firma einzubeziehen, welche uns dabei unterstützte, dem Vorstand die Vorteile der Co-Leitung aufzuzeigen. Dieser kritische Blick von aussen war nötig, um gegenüber dem Vorstand das Modell der Co-Leitung überzeugend zu vertreten.
CK: Kritische Stimmen gab es aber kaum. Am ehesten noch, dass mit zwei Ansprechpersonen mehr Aufwand zu erwarten ist. Der enge Einbezug unseres Präsidenten erachte ich als sehr zentral. Wir haben den Wechsel in die Co-Leitung mit allen möglichen Vor- und Nachteilen diskutiert. Auch haben wir die finanziellen Konsequenzen durchgerechnet. Für den Vorstand war wichtig zu wissen, was diese Veränderung den Verband kostet.
Unser Präsident hat uns immer seine volle Unterstützung zugesichert und war auch dabei, als wir die Geschäftsleitung darüber informiert hatten. Das war ein starkes Signal und für uns und fürs Team wichtig.
«Wir haben den Wechsel in die Co-Leitung mit allen möglichen Vor- und Nachteilen diskutiert.»
SB: Oft wird als Vorteil von Jobsharing das erweiterte Kompetenzprofil zweier Personen genannt. Petra und Daniel, welche seit einigen Jahren im Topsharing tätig sind, ziehen sogar den Vergleich mit einem Zebra – wo eine Person schwarz ist, ist die andere weiss, und umgekehrt. Wie ist das bei euch? Wo ergänzt ihr euch? Wo nicht?
MP: Wir ergänzen uns sehr gut. Wir decken verschiedene Bereiche ab, in welchen auch unterschiedliche Stärken gefragt sind. Dazu gehören kommunikative, prozessuale, analytische und wissenschaftliche Fähigkeiten
CK: Daneben teilen wir viele Gemeinsamkeiten. Wir legen beide viel Wert darauf, dass das, was wir sagen, fundiert abgestützt ist. Wir können komplexe Sachverhalte vereinfachen und auf eine strategische Ebene bringen. Wir leben einen ziemlich ähnlichen Führungsstil. Und wir haben beide ein ähnliches Verständnis davon, wie wir die vielen beruflichen Herausforderungen, die familiären Aufgaben und die ausserberuflichen Interessen und Aktivitäten unter einen Hut bringen.
«Wir decken verschiedene Bereiche ab, in welchen auch unterschiedliche Stärken gefragt sind.»
SB: Ihr führt zusammen einen Verband mit 24 Spitex-Kantonalverbänden, weiteren Mitgliedsorganisationen und knapp 400 selbständigen Spitex-Basisorganisationen, und ihr leitet eure Geschäftsstelle mit 15 Mitarbeitenden. Wie konntet ihr ein gemeinsames Führungsverständnis bilden?
MP: Wir hatten schon immer ein ähnliches Verständnis von Führung und konnten in den letzten Jahren unser Führungsverständnis gemeinsam weiterentwickeln. Wir fördern Autonomie, setzen klare Zielvorgaben und gewähren innerhalb der gesetzten Ziele einen grossen Gestaltungsspielraum. Wir begleiten Mitarbeitende als Sparringpartner:innen in ihren Bereichen.
CK: Wir führen die Geschäftsstelle Spitex Schweiz mit 15 Personen. Unsere Aufgabe im Verband umfasst aber durch die Arbeit in Gremien und Arbeitsgruppen zahlreiche weitere, indirekte Führungsthemen. Wir leisten viel Führungs- und Überzeugungsarbeit im ganzen Verband. Die Verbandsarbeit ist komplex. Dabei kommt es auch vor, dass Marianne und ich unterschiedliche Haltungen haben. Jede:r darf seine Meinung einbringen. Wichtig ist die Offenheit und dass man gemeinsam daran wachsen und einen Konsens finden kann.
«Wir hatten schon immer ein ähnliches Verständnis von Führung und konnten in den letzten Jahren unser Führungsverständnis gemeinsam weiterentwickeln.»
SB: Wo seht ihr die Nachteile des Jobsharing? Wie geht ihr damit um?
CK: Am schwierigsten finde ich, das richtige Mass an Information im Tandem zu finden. Das Bilden und Leben einer Co-Leitung braucht Zeit, Zeit für Diskussionen und Abgleich im Tandem. Rasch nach dem Start in die Co-Leitung haben wir gemerkt, dass es andere Austauschgefässe braucht. Wir treffen uns beispielsweise seither im 6 bis 8-Wochen Rhythmus zu einem 1.5-stündigen Spaziergang, bei welchem wir wichtige Themen diskutieren können.
MP: Dieser Austausch ist ressourcenintensiv, jedoch enorm wichtig für uns und wir sind überzeugt, dass uns genau dies langfristig die gewünschte Entlastung bringt. Ich investiere gerne mehr Zeit für Gespräche und habe dafür einen freien Kopf oder kann ganz entspannt in die Ferien fahren. Zu wissen, dass Cornelis nicht nur informiert ist, sondern auch dieselbe Entscheidungskompetenz hat, gibt mir die nötige Freiheit, während den Ferien loslassen zu können.
SB: Was möchtet ihr Personen mit auf den Weg geben, die sich ebenfalls für eine Co-Leitung interessieren?
MP: Der Weg in ein Jobsharing ist ein Prozess, der auf verschiedenen Ebenen im Unternehmen stattfinden muss und welchem genug Zeit eingeräumt werden sollte. Eine Co-Leitung kann unserer Meinung nach nicht Top Down eingeführt werden. Dieser Prozess muss im Tandem gemeinsam gegangen werden. Es ist ein Kulturwandel und dieser Kulturwandel beginnt in der gemeinsamen Auseinandersetzung auf Augenhöhe.
CK: Wagt den Schritt in etwas Neues und geht ihn ergebnisoffen an.
Zu den Interviewpartner:innen:
Marianne Pfister ist seit 2015 Geschäftsführerin des Dachverbandes Spitex Schweiz, seit September 2022 leitet sie die Geschäftsstelle gemeinsam mit Cornelis Kooijman als Co-Geschäftsführerin. Nach ihrer Ausbildung zur Pflegefachfrau Psychiatrie hat sie nach dem Studienabschluss an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern (lic. iur.) ein Nachdiplomstudium in Health Administration abgeschlossen. Zuvor war sie beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) und im Management von Ärztenetzwerken und Gesundheitszentren tätig, wo sie diverse Projekte im Bereich Integrierte Versorgung leitete. In ihrer Freizeit ist sie viel in den Bergen unterwegs und lebt mit ihrer Familie in Basel.
Cornelis Kooijman leitet seit 2015 das Ressort «Grundlagen und Entwicklung» bei Spitex Schweiz. Ab 2016 übernahm er zusätzlich die Funktion des stellvertretenden Geschäftsführers, seit September 2022 leitet er die Geschäftsstelle gemeinsam mit Marianne Pfister als Co-Geschäftsführer. Zuvor war Cornelis Kooijman in der Privatwirtschaft als Berater tätig und später während 7 Jahren Mitglied der Geschäftsleitung der Lungenliga Schweiz. Cornelis Kooijman ist dipl. Umweltnaturwissenschaftler ETH und verfügt über ein Executive MBA in Public Management. In seiner Freizeit trainiert er ein Eishockey-Team mit 9- und 10-jährigen Kindern. Er wohnt mit seiner Frau und den beiden Kindern im Teenager-Alter in Bern.
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