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  • AutorenbildKarin Ricklin

«Beni's Stärken sind meine Schwächen und umgekehrt»

Nadine Caprez ist Sidepreneurin mit Leidenschaft: als Co-Geschäftsführerin, Co-Founderin, Start-Up Beraterin, Verwaltungsrätin und Familienfrau bringt sie unterschiedliche Rollen unter einen Hut. Wie das funktioniert, welche Rolle Topsharing dabei spielt und wieso dieses Modell insbesondere für KMU zahlreiche Chancen bietet – über dies und mehr hat sie im Interview mit Karin Ricklin von WEshare1 gesprochen.


Portrait Nadine Caprez

Karin Ricklin: Sidepreneurship ist bei Dir grossgeschrieben. Seit 2009 bist Du Co-Geschäftsführerin der Non-Profit-Organisation GO! Mikrokredite, Co-Founderin der Spline AG, Start-Up Beraterin und Verwaltungsrätin. Im Q&A zum DOK Film «Die Chefinnen – Wenn Frauen an der Macht sind» erwähnst Du, dass all diese Tätigkeiten in etwa einem 70%-Pensum entsprechen. Parallel dazu bist Du Familienfrau. Wie kriegst Du alle diese unterschiedlichen Rollen unter einen Hut?


Nadine Caprez: Das werde ich häufig gefragt und lange habe ich nicht gewusst, was ich darauf antworten soll. Für mich ist dieses Setting normal. Ein Stück weit bin ich auch in diese Konstellation hineingerutscht; nach und nach kamen neue Tätigkeiten hinzu. Ich hatte also auch eine gewisse «Angewöhnungszeit». Essenziell für das Funktionieren eines solchen Modells sind zwei Dinge; gute Organisation und ein stimmiges Umfeld. Punkto Kinderbetreuung haben mein Mann und ich für die Betreuung unserer drei Söhne mittlerweile ein tragfähiges Netz aufgebaut aus Grosseltern, Nachbarn und Hort. Im Notfall muss auch mal ein Termin abgesagt werden, das gehört dazu und wird in der Regel gut akzeptiert. Nebst diesen organisatorischen Komponenten spielt wie erwähnt das Umfeld eine zentrale Rolle; du brauchst Personen um dich herum, die dein Modell gut finden, dich darin voll und ganz unterstützen. Seien dies Partner:innen, Freund:innen, Vorgesetzte oder Mitarbeitende.


KR: Eine bedeutende Rolle hat zum Beispiel der Vereinspräsident von GO! Mikrokredite gespielt, der vor über 10 Jahren offen war für Deine Idee, die Leitung neu im Topsharing zu besetzen. Wie kam das Ganze zu Stande?


NC: Zuerst übte ich die Geschäftsleitung bei GO! Mikrokredite alleine in einem 80% Pensum aus. Als ich dann mit dem ersten Kind schwanger wurde, reduzierte ich auf 40%. Dort stellte ich bereits während meinem Mutterschaftsurlaub fest, dass durch meine Abwesenheit ein gewisses Vakuum entstand; gewisse Probleme wurden nicht mehr gelöst in meiner Abwesenheit. Als ich dann mit dem zweiten Kind schwanger wurde, war für mich klar; entweder übe ich meinen Job künftig im Topsharing aus, oder ich suche mir eine neue Stelle. Insbesondere die Entlastung war einer meiner Hauptbeweggründe; ich wollte an meinen arbeitsfreien Tagen bei meinen Kindern sein und nicht ständig daran denken müssen, was noch alles zu tun wäre oder schieflaufen könnte, wenn ich mich nicht darum kümmere. Als ich die Idee dann beim Vereinspräsidenten platzierte, war dieser begeistert und sicherte mir seine volle Unterstützung zu.

 

«Als ich dann mit dem zweiten Kind schwanger wurde, war für mich klar; entweder übe ich meinen Job künftig im Topsharing aus, oder ich suche mir eine neue Stelle.»

 

KR: Wie verlief der Bewerbungsprozess?


NC: Die Stelle wurde als Co-Leitung im 60%-Pensum ausgeschrieben und erreichte mit über 400 Bewerbungen eine enorme Resonanz. Wir entschieden uns für einen 2-stufigen Prozess; nach Gesprächen mit dem Vereinspräsidenten und mir erfolgte eine erste Selektion. Mit den ausgewählten Kandidat:innen führten wir - in der gleichen Konstellation - ein zweites Gespräch. Darauf basierend fällten wir unseren Entscheid. Beni von Allmen, der nun seit über 10 Jahren die Leitung mit mir teilt, machte schlussendlich das Rennen.



NC: Schlussendlich gibt es keine absolute Gewissheit, eine Stellenbesetzung ist immer auch mit etwas Glück verbunden. Nach zwei Bewerbungsgesprächen kann man nicht mit Sicherheit sagen, ob die beiden Personen später gut harmonieren und im Tandem erfolgreich sind. Es braucht auch eine gewisse Portion Mut und Offenheit, ein solches Modell auszuprobieren. Was uns aber sicher zu Gute kam war die ausgeprägte Menschenkenntnis unseres Vereinspräsidenten. Er war überzeugt, dass Beni der Richtige für das Tandem ist. Hinzu kam, dass Beni bereits ein eigenes Unternehmen aufgebaut hatte, was für unseren Job eine Schlüsselkomponente ist. Nach über 10 Jahren erfolgreich im Topsharing steht auf jeden Fall fest; unsere Entscheidung war richtig. In all diesen Jahren hatten Beni und ich keinen einzigen Konflikt. Wir ergänzen uns sehr gut; Beni's Stärken sind meine Schwächen und umgekehrt.

 

«Beni's Stärken sind meine Schwächen und umgekehrt.»

 

KR: Inwiefern?


NC: Wir handhaben das wie im Bundesrat; Beni hat quasi sein Departement, ich meins. Er ist zum Beispiel zuständig für das Marketing, ich für die Finanzen. Im Vorfeld machen wir uns jeweils für unsere Bereiche Gedanken und diskutieren diese dann anschliessend miteinander. Entscheide fällen wir meist gemeinsam. Ein wichtiger Aspekt für das Funktionieren unseres Topsharings ist sicher auch, dass Konkurrenz nie ein Thema war. Es gab zu keinem Zeitpunkt die Situation, dass Beni sich hätte beweisen wollen oder plötzlich der sein wollte, der GO Mikrokredite alleine führt.


KR: Dies kann effektiv ein Risiko darstellen, insbesondere beim Übergang von einer Einzelleitung in die Co-Leitung; du bist schon länger im Unternehmen, die neue Person kommt hinzu und hat vielleicht das Gefühl, sich beweisen zu müssen. Oder umgekehrt; du kannst nicht loslassen, möchtest die Leitung behalten. Ilona und Yvonne konnten diese Herausforderungen gut meistern, Ihr offensichtlich auch. Gab es andere Hürden, die beim Wechsel auftraten?


NC: Nein, im Gegenteil. Ich habe es sehr geschätzt, neu einen Sparringpartner an meiner Seite zu haben. Plötzlich ist da ein Pendant, mit dem du dich über alles austauschen und dich gegenseitig motivieren kannst. Klar, du musst loslassen können, offen sein für die neuen Ideen des anderen und nicht gleich alles kritisieren. Du musst auch sagen können: «hey, wir beide sind gleichwertig», obwohl du faktisch gesehen über mehr Erfahrung und Know-how in der Position verfügst. Dies funktionierte bei uns sehr gut, wobei Beni’s Verhalten ebenfalls eine bedeutende Rolle spielte. Eine schöne Anekdote hierzu ist unser Büro. Zuerst hatte ich alleine ein grosses, wunderschönes Zimmer mit Erker und einem Sitzungstisch. Als Beni hinzukam, hätte er eigentlich dieses Zimmer übernehmen sollen, da er ja mit 60% einen Tag mehr vor Ort war als ich. Als ich ihn dann fragte, ob wir das Büro tauschen wollen, hat er abgelehnt: «nein, das ist deins». Auch heute ist dies noch so, obwohl er mittlerweile mit einem 80% Pensum doppelt so oft im Büro ist wie ich. Womöglich spürte er damals, dass der Wechsel von der Einzel- in die Co-Leitung für mich mit dem Zimmertausch etwas schwieriger geworden wäre und liess mir daher bewusst diesen «Status».

 

«Du musst auch sagen können: ,hey, wir beide sind gleichwertig`, obwohl du faktisch gesehen über mehr Erfahrung und Know-how in der Position verfügst.»

 

KR: Du sprichst Eure Pensen an. Mittlerweile besetzt Ihr die Co-Leitung in einem 120% Pensum und habt zwei Büros. Dies bedeutet Zusatzkosten, die oft auch als Hinderungsfaktoren für die Initialisierung eines Job- oder Topsharings genannt werden. Beim Familienunternehmen HUG AG z. B. überwiegt der Nutzen gegenüber den Kosten klar. Wieso lohnt sich ein solches Arbeitsmodell für ein KMU wie GO! Mikrokredite?


NC: Im Topsharing sind wir schneller unterwegs, da zwei Köpfe an einer Sache mitdenken. Ausserdem kann sich das Duo gegenseitig anspornen und die Stellvertretung ist sichergestellt. Bei der geteilten Führung kommt als weiterer Pluspunkt hinzu, dass sich die Mitarbeitenden an die Person im Tandem wenden können, die ihnen eher liegt. Zu guter Letzt bieten Job- und Topsharing gerade für KMU ein grösseres Mass an Sicherheit, verglichen mit einer Einzelbesetzung. Verlässt eine Person z. B. das Unternehmen, kostet dies enorm viel. Mit einer Doppelbesetzung kann dieses Risiko abgefedert werden, da beim Austritt einer Person aus dem Tandem ja immer noch die andere Person da ist, welche über das Know How verfügt.

 

«Zu guter Letzt bieten Job- und Topsharing gerade für KMU ein grösseres Mass an Sicherheit, verglichen mit einer Einzelbesetzung.»

 

KR: Du erwähnst die Stellvertretung. Beim #jobsharingTalk wurde die Frage gestellt, was der Unterschied zwischen Jobsharing und einer Stellvertretung ist. Wie siehst Du das?


NC: Bei einer Stellvertretung ist der Mindset ein anderer. In der Regel befindet sich die Stellvertretung eine Position tiefer in der Hierarchie und kommt nur bei Abwesenheit der anderen Person zum Zug. Beim Jobsharing hingegen sind beide auf der gleichen Stufe und haben permanent den gleichen Wissensstand.


KR: Inwiefern ist Jobsharing bei Deinen Start-Up Beratungen ein Thema?


NC: Wenn ich beispielsweise eine Person in der Beratung habe, die eine App entwickeln will mit mehrheitlich BWL Wissen, rate ich jeweils, ein Pendant mit dem entsprechenden IT-Background hinzuzuziehen. Vielleicht braucht es dann auch noch eine Person mit Marketing Know-how. Zu Dritt kann darauf basierend eine Firma mit drei gleichberechtigten Partner:innen gegründet werden, ein klassisches Co-Founding also. So gesehen sind diese Modelle bei KMU ja eigentlich bereits seit Generationen üblich. Meine Eltern beispielsweise führten eine Industriedruckerei zu zweit, machten also ein Jobsharing, das jedoch nicht als solches deklariert wurde.

 

«So gesehen sind diese Modelle bei KMU ja eigentlich bereits seit Generationen üblich. Meine Eltern beispielsweise führten eine Industriedruckerei zu zweit, machten also ein Jobsharing, das jedoch nicht als solches deklariert wurde.»

 

KR: Welchen Tipp gibst Du Personen mit, die ebenfalls in einem Topsharing arbeiten wollen?


NC: Um Topsharing leben zu können, benötigst du Herzblut. Mit dem Modell ist immer noch einiges an Überzeugungsarbeit verbunden und oft braucht es auch eine kleine Portion Glück dazu. Umso wichtiger ist es, dass du nicht aufgibst und daran glaubst, dass das Glück früher oder später auf deiner Seite ist. Sprich mit möglichst vielen Personen darüber und baue dir beruflich wie auch privat ein tragfähiges Netzwerk auf. Rede aber nicht nur darüber, sondern tue auch etwas; sollte es nicht auf Anhieb klappen mit dem Topsharing, dann wähle einen Zwischenschritt, zum Beispiel in Form eines Ehrenamts in einem Stiftungsrat. Dort sammelst du wichtige Erfahrungen und baust wiederum dein Netzwerk aus. Kommen dennoch Zweifel auf, dann wende dich an die Menschen in deinem Umfeld, die an dich glauben und dir sagen: «du schaffst das!»

 

«Um Topsharing leben zu können, benötigst du Herzblut.»

 

Zur Interviewpartnerin:


Nadine Caprez war bereits mit 27 Jahren Co-Founderin der Firma SPLINE AG in Thalwil, welche bis heute anspruchsvolle «Smart Homes» realisiert. Seit 13 Jahren ist sie als Co-Geschäftsführerin bei der Non-Profit-Organisation GO! Mikrokredite engagiert, welche Mikrokredite an Selbstständige vergibt. Als Verwaltungsrätin beschäftigt sie sich aktuell unter anderem mit den Themen Mikromobilität und Investorensuche. Ihr Herzblut liegt darin, Startups und Unternehmen zu fördern und dabei ihre langjährige unternehmerische Erfahrung einzubringen. Sie ist Sparringpartnerin für CEOs und Jungunternehmende. Nadine lebt mit ihrem Mann und den gemeinsamen drei Jungs in Wädenswil.

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