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  • AutorenbildKarin Ricklin

Das Führen eines Topsharing-Duos bedeutet Mehraufwand? Im Gegenteil!

Kurz nachdem Alexander Schmidt als Teamleiter ernannt wurde, erhielt er von seinem Vorgesetzten ein Angebot: Alternativ zur besprochenen Einzelleitung des Teams wäre auch eine Co-Leitung mit Rahel Maurer möglich, die sich ebenfalls für die Teamleitung beworben hatte. Rahel und er kannten sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht und es gab etliche weitere Herausforderungen zu meistern. Weshalb sich die beiden dennoch auf dieses Experiment einliessen, was den Ausschlag für ihren Erfolg gab und wieso auch Vorgesetzte vom Topsharing profitieren können, darüber sprachen sie im Interview mit Karin Ricklin von WEshare1.

Portrait Alexander Schmidt und Rahel Maurer


Die Stelle von Alexander und Rahel wurde ursprünglich mit der Option «Co-Leitung» ausgeschrieben. Joachim Schöpfer, heutiger Vorgesetzter von Alexander und Rahel, war überzeugt, dass eine Co-Leitung prädestiniert war für diese anspruchsvolle Stelle; es galt, drei verschiedene Teams zu einem neuen Team mit knapp 20 Mitarbeitenden zusammen zu führen und dieses dann zu leiten. Da sich jedoch kein Tandem meldete, entschied sich Joachim, die Stelle vorerst mit Alexander alleine zu besetzen. Die beiden einigten sich auf ein 80% Pensum. Für Alexander kam eine Vollzeitstelle nicht in Frage, da er weiterhin Beruf und Familie miteinander vereinbaren wollte. Joachim hatte indessen immer noch eine Co-Leitung im Hinterkopf und fragte sich, wieso Alexander nicht ein Tandem bilden könnte mit Rahel? Sie hatte sich ebenfalls auf diese Stelle beworben und einen sehr guten Eindruck hinterlassen. Kurz nachdem Alexander als Teamleiter ernannt wurde, machte er diesem daher folgendes Angebot: Alternativ zur besprochenen Einzelleitung des Teams wäre auch eine Co-Leitung mit Rahel möglich. Dieses Vorhaben war mit einigen Risiken verbunden, sowohl für Rahel und Alexander als auch für Joachim. Alexander und Rahel kannten sich vorher nicht und beide verfügten noch über wenig Führungserfahrung. Ausserdem waren nicht alle im Unternehmen überzeugt von diesem Modell.


Karin Ricklin: Trotz zahlreicher Herausforderungen beim Start Eures Topsharings seid Ihr bald zwei Jahre erfolgreich als Tandem unterwegs. Was gab den Ausschlag für diesen Erfolg?


Alexander Schmidt: Das Führungscoaching, welches wir nach unserem Start während über einem Jahr erhielten, erwies sich als äusserst hilfreich und wir waren sehr dankbar für die wertvolle Unterstützung von unserem Coach Markus Gygli. Zu Beginn war die Begleitung sehr eng, über die Monate hinweg verringerte sich die Anzahl der Sitzungen. Im Fokus stand sowohl die Zusammenführung von Rahel und mir als auch jene des neuen Teams.


Rahel Maurer: Besonders wichtig war uns, keine leeren Versprechungen zu machen. Wir legten Wert darauf, die Ängste und Sorgen sämtlicher Mitarbeitenden aufzunehmen und gleichzeitig aufzuzeigen, welchen Mehrwert jede*r Einzelne durch die neue Organisation erhielt. Allfälligen Bedenken zur Co-Leitung gaben wir ausreichend Raum. Gleichzeitig machten wir klar, dass das Modell an sich gesetzt war und es diesbezüglich keinen Diskussionsspielraum mehr gab.


A: Ein entscheidender Faktor lag zudem im grossen Commitment von Joachim, der sich trotz Gegenwind im Unternehmen für unser Modell stark machte. Es gab zum Beispiel Vorbehalte aufgrund der 80%/100% Aufteilung, die von der «Standardlösung» eines Topsharings mit 60%/60% deutlich abweicht. Eine Befürchtung lag darin, dass sich der Führungsapparat zu stark aufbläht und Mehrkosten generiert würden. Da wir beide jedoch zu 20 bis 40% noch in fachlichen bzw. konzeptionellen Themen eingebunden sind, beinhalten unsere 180 Stellenprozente deutlich mehr als «nur» Führungsarbeit.


R: Hierzu gibt es eine schöne Anekdote. Obwohl Joachim wie gesagt ein grosser Verfechter unseres Modells war, hatte er gleichzeitig auch Respekt vor dieser neuen Führungssituation geäussert. Er ging zu Beginn davon aus, dass das Führen eines Tandems mehr Zeit in Anspruch nehmen würde, verglichen mit einer Einzelleitung. Nach unseren Erfahrungen aus der Praxis ist das aber nicht so. Im Gegenteil; er hat merklich weniger Aufwand durch unser Topsharing. Der Hauptgrund liegt darin, dass Alexander und ich die Mehrheit der Entscheide bereits untereinander besprechen und damit Joachim bei inhaltlichen Fragestellungen entlasten.

 

"Er ging davon aus, dass das Führen eines Tandems mehr Zeit in Anspruch nehmen würde, verglichen mit einer Einzelleitung. Nach unseren Erfahrungen aus der Praxis ist das aber nicht so, im Gegenteil; er hat merklich weniger Aufwand durch unser Topsharing."

 

K: Diesen Aspekt betonte auch Joachim im Vorgespräch. Ebenso schätzt er es, dass nahezu immer jemand von Euch anwesend ist und Ihr deutlich besser untereinander abgestimmt seid, als dies der Fall wäre, wenn Rahel und Alexander sich klassisch stellvertreten würden. Ein weiteres Plus sieht er darin, dass durch Euer Modell Diversität nicht nur gepredigt, sondern auch aktiv gelebt wird. Welchen Mehrwert zieht Ihr aus Eurem Topsharing?


R: Die diversen Blickwinkel, die Alexander und ich einbringen, sehe ich als ein grosses Plus. Da wir zu zweit sind, können wir besser auf die unterschiedlichen Bedürfnisse unserer Mitarbeitenden eingehen. Diese wählen zwar ihre*n Chef*in nicht aus, aber wir achten bei der Zuteilung jeweils stark auf die Passung. Wir legen Wert darauf, dass unsere Mitarbeitenden jeweils der Person zugeteilt sind, bei der sie sich wohl fühlen und ihre Weiterentwicklung bestmöglich gefördert werden kann.


A: Der primäre Vorteil liegt für mich beim gemeinsamen Entscheiden. Dadurch, dass ich inhaltliche und personelle Entscheide zuerst mit Rahel diskutieren kann, erhalte ich ein besseres Gefühl dafür, ob meine Sichtweise stimmt. Geht es dann darum, den Entscheid gegen aussen zu rechtfertigen, bin ich nicht alleine damit. Das wirkt sich positiv aufs Selbstvertrauen aus und verringert die Unsicherheit bei wichtigen Entscheiden. Ein weiterer positiver Punkt liegt in der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ich weiss, dass Rahel an meinem freien Tag wichtige Termine wahrnehmen kann und bin dann entspannter am Papitag, was sich wiederum positiv auf die Familie auswirkt.

 

"Da wir zu zweit sind, können wir besser auf die unterschiedlichen Bedürfnisse unserer Mitarbeitenden eingehen."

 

K: Du erwähnst Deinen freien Tag. Im Vergleich zu Rahel, die 100% arbeitet, bist Du jeweils einen Tag in der Woche nicht vor Ort. Gibt es da kein Ungleichgewicht?


A: Diesen Aspekt hatten wir zu Beginn des Topsharings auch diskutiert und sogar überlegt, Rahels Pensum aus diesem Grund auf 80% zu reduzieren. Zum Glück entschieden wir uns dagegen. Ich habe bis dato keinerlei Nachteile daraus erfahren.


R: Wären wir beide stark operativ tätig und müssten laufend Entscheide fällen, wäre die Situation anders. Wichtige Entscheide kann ich in der Regel jedoch vertagen und mit Alexander nach seinem freien Tag besprechen.


A: Die eindeutig grössere Herausforderung für uns war, dass ich initial als Teamleiter ernannt wurde, bevor das Topsharing mit Rahel zu Stande kam. Wir mussten zuerst eine Ebene finden, in der klar war, dass wir gleichberechtigt sind und auf Augenhöhe miteinander unterwegs sein wollen.


R: Auch gegen aussen hin war die Situation nicht ganz einfach. Im Sinne von; jetzt werden schon drei verschiedene Teams zusammengelegt, und nun kommt auch in der Führung nochmals jemand Neues hinzu.

 

"Die eindeutig grössere Herausforderung für uns war, dass ich initial als Teamleiter ernannt wurde, bevor das Topsharing mit Rahel zu Stande kam. Wir mussten zuerst eine Ebene finden, in der klar war, dass wir gleichberechtigt sind und auf Augenhöhe miteinander unterwegs sein wollen."

 

K: Ein weiterer herausfordernder Aspekt lag darin, dass Ihr Euch vorher nicht gekannt habt. Wie kamt Ihr zum Schluss, dass ein Tandem mit Euch beiden funktionieren könnte?


A: Gemeinsam mit Joachim gaben wir uns rund zwei Monate Zeit, bis wir einen Entscheid fällten. Während dieser Zeit stand zuerst im Vordergrund, dass Rahel und ich uns besser kennenlernten. In einem zweiten Schritt ging es darum, mit der Begleitung eines Coachs diverse Aspekte zu beleuchten und abzustimmen: Wer sind wir als Persönlichkeiten? Was sind unsere Werte? Wie wollen wir führen? Für mich entscheidend war, dass ich in dieser Phase ein gutes Gefühl erhielt. Ich spürte, dass die Konstellation mit Rahel passt und das Modell funktionieren könnte. Die Unterstützung von Joachim, die sehr gut spürbar war, spielte ebenfalls eine zentrale Rolle. Und nicht zuletzt leiteten mich egoistische Motive, da bin ich ganz ehrlich. Im Hinblick auf meine Work-Life Balance und meine Familie fühlte ich mich deutlich wohler in einer Co-Leitung als in einer Einzelleitung.


R: Durch die gemeinsamen Überlegungen, wie eine Co-Leitung bei uns aussehen könnte, erhielt ich bereits einen konkreten Eindruck davon, wie Alexander arbeitet. Klar, der informelle Austausch war auch wichtig. Aber die Vorarbeiten mit Alexander waren für mich essentiell, um schliesslich eine Entscheidung fällen zu können.

 

"Im Hinblick auf meine Work-Life Balance und meine Familie fühlte ich mich deutlich wohler in einer Co-Leitung als in einer Einzelleitung."

 

K: In dieser Vorphase habt Ihr Euch intensiv mit Eurem Modell auseinandergesetzt. Analog zum Tandem von Oli und Chris war klar, dass Ihr nebst Eurer Führungstätigkeit auch weiterhin in fachlichen Themen involviert bleibt. Wie sieht Eure Aufteilung heute in der Co-Leitung konkret aus?


A: Die Führung der einzelnen Mitarbeitenden haben wir untereinander aufgeteilt. Die Vor- und Nachbereitung der jährlichen Mitarbeitendengespräche machen wir zum Beispiel immer gemeinsam. Wenn es darum geht, in Gremien präsent zu sein, wechseln wir uns grösstenteils ab. Damit wir jeweils auf dem aktuellsten Stand sind, erfolgt auch hier die Vor- und Nachbereitung gemeinsam. Wie bereits erwähnt, haben wir zudem individuelle Themenschwerpunkte, die 20-40% unserer Zeit in Anspruch nehmen.


R: Einzelne Aufgaben haben wir klar zugewiesen, manchmal entscheiden wir aber auch situativ. Je nach Kontext kann es zielführender sein, dass wir beide präsent sind. Genauso gut gibt es Situationen, in denen weder wir beide noch ein einzelner von uns, sondern unterschiedliche Personen aus unseren Teams eine tragende Rolle übernehmen.


A: Um immer auf dem Laufenden zu sein, meinten wir zuerst, täglich abends telefonieren zu müssen. Das war jedoch nicht notwendig. In der Regel reicht ein wöchentlicher Abgleich von 1.5h bis 2h. Bei einem 60%/60% Modell sieht das natürlich anders aus. Die Überschneidung ist dort einiges geringer als bei uns mit vier gemeinsamen Tagen.


R: Die knapp zwei Stunden Austausch pro Woche könnten als ineffizient ausgelegt werden. Mit den Themen, die wir in dieser Zeit diskutieren, müsste sich jedoch auch eine Einzelleitung auseinandersetzen und dann gegebenenfalls mit anderen rückbesprechen, was ebenso Zeit beansprucht.

 

"Einzelne Aufgaben haben wir klar zugewiesen, je nachdem entscheiden wir aber auch situativ."

 

K: Ihr scheint einen Modus gefunden zu haben, der für Euch beide stimmt. War dies von Beginn weg so?


A: Dadurch, dass wir einander vorher nicht gekannt haben, mussten wir uns zuerst finden. Sei dies in den diversen Themenbereichen oder bezüglich unterschiedlicher Arbeitsweisen. Das bedeutete, dass wir uns immer wieder von Neuem aufeinander einstellen mussten. Kommen grundsätzlich zwei Menschen mit verschiedenen Hintergründen zusammen, gibt es zuerst einmal Reibungsverluste, das lässt sich nicht negieren. Haben beide vorher schon zusammengearbeitet, fallen diese Reibungsverluste geringer aus.


R: Dafür ist die Fallhöhe kleiner; kennen sich beide schon länger und scheitern, ist das schlimmer als wenn zwei scheitern, die sich vorher nicht gekannt haben.

 

"Kommen grundsätzlich zwei Menschen mit verschiedenen Hintergründen zusammen, gibt es zuerst einmal Reibungsverluste, das lässt sich nicht negieren."

 

K: Lukas Krienbuehl fühlt sich als Mann im Topsharing ein wenig wie ein Marsmensch. Die kürzlich erschienene Studie der KOF liefert Erklärungsansätze dazu, weshalb Männer seltener in Teilzeit (und damit auch im Topsharing) arbeiten als Frauen: «Wenn eine Frau Teilzeit arbeitet, wird dies auf ihre familiäre Belastung zurückgeführt. Bei einem Mann dagegen wird eher unterstellt, dass er beruflich weniger engagiert sei.» Wie erlebst Du das, Alexander?


A: Ich fühle mich nicht als «Alien» im Topsharing. Im Gegenteil: In meinem Freundeskreis herrscht grosses Interesse und viel Neugier für mein Arbeitsmodell. Bis jetzt erhielt ich keinerlei negative Rückmeldungen dazu. Im Vergleich zu meinem Herkunftsland Deutschland habe ich den Eindruck, dass in der Schweiz viel mehr Männer Teilzeit arbeiten. Zumindest in meinem Umfeld erlebe ich das so. Dass ich aufgrund meines Topsharings als weniger engagiert wahrgenommen würde, habe ich ebenfalls nicht so erlebt. Vielmehr besteht die Tendenz, mehr als die vereinbarten 80% zu arbeiten. Das ist für mich aber in Ordnung, da ich im Gegenzug vom Arbeitgeber die Möglichkeit erhalte, mit dieser Co-Leitung Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren.

 

"In meinem Freundeskreis herrscht grosses Interesse und viel Neugier für mein Arbeitsmodell."

 

K: Welchen Tipp gebt Ihr Personen mit, die sich ebenfalls für ein Topsharing interessieren?


A: Erstens empfehle ich insbesondere Vätern, die durch ein Topsharing Beruf und Familie miteinander vereinbaren wollen, auf sich selbst zu hören und für sich einzustehen. Zweitens ist eine ausreichende Vorbereitungszeit wichtig. Die zwei Monate, die wir hatten, waren sehr knapp. Weiter ist es wichtig zu wissen, dass die eigenen Schwächen in einer Co-Leitung sehr schnell zu Tage treten. Ist jemand nicht kritikfähig, wird es schwierig. Und last but not least: Die Unterstützung des bzw. der direkten Vorgesetzten ist ausschlaggebend.

 

"Erstens empfehle ich insbesondere Vätern, die durch ein Topsharing Beruf und Familie miteinander vereinbaren wollen, auf sich selbst zu hören und für sich einzustehen."

 

R: Mittlerweile bin ich überzeugt davon, dass Unterschiede genauso entscheidend sind wie Ähnlichkeiten. Je eher sich zwei Personen mit ihren Unterschieden ergänzen, desto besser. Zumindest gilt das für unser 80%/100% Modell. Eine grosse Portion Toleranz und Flexibilität sind dafür zwingende Voraussetzungen. Wichtig scheint mir auch, sich nicht einschüchtern zu lassen. Dass die Einführung eines Topsharings Ängste und Vorbehalte auslöst, ist völlig normal. Dagegen anzukämpfen lohnt sich nicht. Stattdessen: Durch Wirken Wirkung zeigen.


K: Herzlichen Dank Euch beiden für dieses Gespräch und weiterhin viel Erfolg bei Eurem Wirken als Tandem.

 

Zu den Interviewpartner*innen:


Rahel Maurer ist seit Ende 2019 in der Co-Leitung bei SBB Infrastruktur tätig. Zuvor war sie bei SBB Personenverkehr in verschiedenen Projektleitungsfunktionen tätig und führte Projekte in der Geschäftsentwicklung und Smarten Mobilität. Gestartet ist sie bei der SBB mit dem Traineeprogramm, einem Einführungsprogramm für Hochschulabsolventen. Sie wohnt mit ihrem Mann im Liebefeld bei Bern. In ihrer Freizeit geniesst sie die Berge und spielt im Frauenteam des Rugby Club Bern.


Alexander Schmidt ist seit 2013 bei der SBB Infrastruktur tätig. Vor seiner Tätigkeit als Co-Leiter der Kundeninformation nahm er verschiedene Rollen im Datenmanagement wahr und sammelte erste Führungserfahrungen. Er lebt mit seiner Partnerin sowie seinen 6- und 2-jährigen Söhnen im Liebefeld bei Bern. Wenn er nicht gerade etwas zum Lesen in der Hand hält, engagiert er sich in seiner Freizeit im Organisationskomitee des Kurzfilmfestivals shnit.



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