Christian Suter und Oliver Oberli teilen sich seit Januar 2021 die Verantwortung für den indirekten Einkauf bei einem Telco- & ICT-Unternehmen. Wieso kam für sie Führung nur im Doppelpack in Frage? Wozu braucht es ein Gentlemen`s Agreement? Und wie zeitgemäss sind Vorurteile gegenüber Männern im Topsharing? Darüber haben die beiden im Interview mit Karin Ricklin von WEshare1 gesprochen.
Christian Suter und Oliver Oberli arbeiteten bereits sechs Jahre als Teamkollegen miteinander, als ihr Vorgesetzter Ende 2020 einzeln auf beide zuging und fragte, ob sie Interesse an seiner Nachfolge hätten. Interesse hatten beide, aber nur unter einer Bedingung: Sie leiten das Team gemeinsam und arbeiten gleichzeitig weiter als strategische Einkäufer.
Karin Ricklin: Wieso kam für Euch nur ein solches Setting in Frage?
Oliver Oberli: Die Leitung des strategischen Einkaufs bringt viel Verantwortung mit sich, es geht um wichtige Entscheide und hohe Summen. Wir leben in einem sehr schnelllebigen Umfeld, viele Entscheide müssen täglich gefällt werden und ich kenne keine Führungskraft bei uns im Unternehmen, die nicht konstant auf Hochtouren läuft. Das ist stressig, und die Gefahr besteht, dass in solchen Situationen nicht immer die besten Entscheide getroffen werden. Ausserdem bleibt vor lauter Führungsarbeit kaum Zeit, sich mit operativen Themen auseinanderzusetzen. Immer mehr fehlt dann das Verständnis dafür, welche Auswirkungen Entscheide haben und ob diese überhaupt umsetzbar sind. Diese Fallstricke wollten wir vermeiden und sagten uns: Komm, wir verteilen den Job auf vier Schultern statt auf zwei. So nehmen wir Druck heraus und können nebst der Führungsarbeit auch weiterhin operativ tätig sein.
Christian Suter: Wir haben beide viel Erfahrung im strategischen Einkauf und wollten auch als Führungskräfte den Bezug zum Alltagsgeschäft beibehalten. Deshalb entschieden wir uns für die Mischform: Je 50/50 gemeinsame Führungsarbeit, der Rest der Zeit steht für Tätigkeiten im Tagesgeschäft zur Verfügung. Oli erledigt sein 90% Pensum verteilt auf vier Tage, ich in Vollzeit.
"Wir haben beide viel Erfahrung im strategischen Einkauf und wollten auch als Führungskräfte den Bezug zum Alltagsgeschäft beibehalten. Deshalb entschieden wir uns für die Mischform: Je 50/50 gemeinsame Führungsarbeit, der Rest der Zeit steht für Tätigkeiten im Tagesgeschäft zur Verfügung."
K: Ihr habt bereits einige Vorteile angesprochen. Wo seht Ihr weitere Pluspunkte bei Eurem Modell?
O: Bisher musste ich mir die Ferien jeweils «vorverdienen», und nach meiner Rückkehr war der Ferieneffekt aufgrund aufgestauter Pendenzen nach wenigen Tagen bereits wieder verflogen. Im Topsharing ist das nicht mehr der Fall. Als ich kürzlich von den Ferien zurückkam, konnte ich geordnet ankommen. Das Dringendste war bereits von Chris erledigt und nach einem kurzen Briefing startete ich gut vorbereitet. Ein weiteres Plus liegt in der Vereinbarkeit: Durch dieses Modell kann ich am Mittwoch den ganzen Tag für die Familie da sein, das ist mir sehr wichtig. Auch das Unternehmen profitiert. Zum Beispiel konnten Stellenprozente eingespart werden, indem Chris und ich die Leitung ohne Neubesetzung unserer vorherigen Stellen übernahmen.
C: Ein weiteres Plus für unseren Arbeitgebenden wie auch externe Ansprechpartner*innen ist die permanente Verfügbarkeit; einer von uns beiden ist immer anwesend. Auch unserer Komplementarität sehe ich als grossen Vorteil. Dadurch, dass wir unterschiedlich ticken, können wir einander immer wieder aufs Neue herausfordern und gelangen so zu besseren Entscheiden. Das heisst nicht, dass wir ständig diskutieren. Vielmehr schätzen wir den Blickwinkel des anderen, beziehen diesen gezielt ein und kommen so zu einem ausgewogenen Ergebnis. Dabei hilft es sicher, dass wir uns bereits mehrere Jahre kennen und genau wissen, wie viel in welchen Situationen drin liegt.
"Dadurch, dass wir unterschiedlich ticken, können wir einander immer wieder aufs Neue herausfordern und gelangen so zu besseren Entscheiden."
K: Bei so vielen Vorteilen dürfte es leicht gewesen sein, Euren Vorgesetzten von diesem Modell zu überzeugen. Wo seid Ihr auf Widerstand gestossen?
C: In der Tat stiess der Vorschlag bei unserem Vorgesetzten auf offene Ohren. Das ist ein wichtiger Aspekt, nebst der Kultur im Unternehmen: Wäre er nicht bereit gewesen, sich unseren Vorschlag anzuhören und etwas Neues zu probieren, hätten wir die Idee wieder verworfen. Es braucht immer beides: Eigeninitiative wie auch ein Umfeld, das neue Ideen zulässt.
O: Chris und ich machten uns im Vorfeld intensiv Gedanken zum geplanten Modell. Wo liegen die Chancen und Risiken? Mit welchen Massnahmen können wir den Risiken begegnen? Wie organisieren wir uns untereinander? Die Lösung war durchdacht. Einzig die Zuständigkeiten waren ein Thema, das für Diskussionen sorgte.
"Es braucht immer beides: Eigeninitiative wie auch ein Umfeld, das neue Ideen zulässt."
K: Das ist ein Punkt, den auch Euer Mitarbeitender Till Szemkus im Vorgespräch mit mir nannte. Sein Fazit nach einem halben Jahr mit Euch als Co-Leitern fällt sehr positiv aus. Er sieht Topsharing als grossen Benefit, sowohl fürs Team als auch fürs Unternehmen insgesamt. Insbesondere schätzt er es, dass Ihr freie Kapazität habt fürs operative Mitwirken in seinem Bereich. Einzig die Komplexität sei teilweise herausfordernd; anstelle einer Person hat er nun zwei Ansprechpartner.
C: Das Thema mit den Zuständigkeiten muss gut durchdacht sein. Die Aufteilung unserer Bereiche war schnell klar; Oli ist für den Massenmarkt zuständig, ich für die Supportfunktionen, Gruppengesellschaften und den Konzern. Seitens Lieferanten und internen Stakeholdern lässt sich das gut trennen, auch für unseren Vorgesetzten ist die Aufteilung klar. Es gibt allerdings Themen, die transversal sind, also sowohl Olis Bereich als auch meinen betreffen. Das ist dann hauptsächlich für unsere Mitarbeitenden herausfordernd. Wir sind am Überlegen, wie wir das verbessern können. Es ist uns wichtig, das Team dabei aktiv einzubinden. Wir haben in den letzten Monaten nach erstem Feedback gefragt und werden dies in den kommenden Monaten weiter tun.
K: In Eurem Setting fallen einige Herausforderungen weg, die beim «klassischen» Topsharing ein Thema sein können. Beispielsweise habt Ihr mit vier gemeinsamen Arbeitstagen viel Zeit, in der Ihr Euch abgleichen könnt. Ein Duo, bei welchem beispielsweise beide 60% arbeiten, ist hier stärker gefordert. Nichtsdestotrotz hat auch Euer Vorgesetzter zwei Personen, die er führen muss. Ist das für ihn im Tagesgeschäft kein Mehraufwand?
C: Anstelle eines Mehraufwands sehe ich eher Vorteile. Die Entscheide, die zu unserem Vorgesetzten kommen, sind wie erwähnt bereits sehr gut abgewogen. Und dadurch, dass Oli und ich uns jeweils zweimal in der Woche eine halbe Stunde zu den wichtigsten Themen austauschen, sind wir gegenseitig immer auf dem neusten Stand. Ist einer von uns beiden in den Ferien, hat unser Vorgesetzter immer einen kompetenten Ansprechpartner.
K: Eine Frage, die immer wieder gestellt wird, ist die nach den Mitarbeitendengesprächen. Till schilderte, dass er von Euch beiden beurteilt wird. Im Tagesgeschäft hingegen bist Du, Chris, seine Ansprechperson. Weshalb habt Ihr Euch für dieses Vorgehen entschieden? Und wie werdet Ihr als Duo von Eurem Vorgesetzten beurteilt?
O: Es war ein bewusster Entscheid, die Beurteilungsgespräch mit unseren Mitarbeitenden zu zweit durchzuführen. Wir sind davon überzeugt, dass dies kein Effizienzverlust ist, sondern unsere unterschiedlichen Feedbacks einen Mehrwert darstellen. Wir sprechen uns daher bewusst nicht vorher ab, damit die Mitarbeitenden im Gespräch zwei unterschiedliche Blickwinkel erhalten.
C: Unser eigenes Mitarbeitendengespräch steht noch bevor. Grundsätzlich haben wir jedoch gemeinsame Ziele, aufgrund derer wir bewertet werden. Da fliesst zum Beispiel mit herein, wie wir als Duo unterwegs sind. Es wird aber auch Bereiche geben, die einzeln betrachtet werden.
"Unser eigenes Mitarbeitendengespräch steht noch bevor. Grundsätzlich haben wir jedoch gemeinsame Ziele, aufgrund derer wir bewertet werden."
K: Bei der Einführung eines Topsharings ist es essentiell, dass das Team gut abgeholt wird. In Eurem Fall war das doppelt herausfordernd: Ihr habt nicht nur zu zweit die Führung übernommen, sondern seid gleichzeitig von Teammitgliedern zu Vorgesetzten geworden. Till hat den Wechsel sehr positiv erlebt. Wie seid Ihr vorgegangen?
O: So genau weiss ich das gar nicht mehr, aber offensichtlich war es ganz ok (lacht).
K: Till schilderte, dass Ihr auf Eure Werte und Ziele eingegangen seid. Ihr hättet beschrieben, was Euer Führungsverständnis ist und was Ihr von den Mitarbeitenden erwartet. Gleichzeitig konnten sich die Mitarbeitenden einbringen.
O: Für uns war es naheliegend, dass wir die Mitarbeitenden zu Beginn abholen und die Hintergründe erläutern. Wieso machen wir das? Und vor allem; was bedeutet das für jede*n Einzelne*n? Wo können wir uns gegeben falls noch verbessern? Wie Chris bereits erwähnte, ist das Leben einer Feedbackkultur generell wichtig für uns. Wir sind sehr interessiert an den Rückmeldungen unserer Mitarbeitenden und schätzen den Dialog mit ihnen.
K: Lukas Krienbuehl sagte mir im Interview, dass er sich als Mann im Topsharing ein wenig wie ein Marsmensch vorkäme. Männer-Frauen Duos, wie es bei Lukas der Fall ist, sind zwar selten, kommen jedoch immer noch häufiger vor als reine Männerduos. Eine Hypothese ist, dass geteilte Führung insbesondere bei Männern als Schwäche ausgelegt wird; man(n) will keine Verantwortung tragen, sondern versteckt sich lieber hinter einer zweiten Person. Was sind Eure Erfahrungen dazu?
C: Bis anhin war das überhaupt kein Thema. Sämtliche meiner Kollegen fanden es toll, dass wir dieses Modell ausprobieren können. Viel eher würden sie auch gerne so arbeiten, haben aber im Unternehmen nicht die Möglichkeit dazu.
O: Das ist auch meine Erfahrung. Die Väter in meinem Kollegenkreis sind nahezu alle in einem 80% Pensum beschäftigt und könnten sich ein Modell wie unseres gut vorstellen. Die Vorteile liegen auf der Hand. Gerade auch für Männer ist unser Modell prädestiniert, da die Mehrheit zwischen 80% und 100% arbeitet und sich somit geteilte Führung mit dem Tagesgeschäft gut verbinden liesse. Klar, der Lohn fällt geringer aus, wenn die Stelle zu zweit statt alleine ausgeübt wird, und die erwähnten Vorurteile schwingen vielleicht mit. Aber damit kann man(n) leben. Ich denke, das Ganze ist auch ein Generationenthema. Die Generation meiner Eltern hegt vielleicht noch eher solche Vorurteile. In unserer Generation ist das kein Thema mehr.
"Gerade auch für Männer ist unser Modell prädestiniert, da die Mehrheit zwischen 80% und 100% arbeitet und sich somit geteilte Führung mit dem Tagesgeschäft gut verbinden liesse."
K: Welchen Tipp gebt Ihr Personen mit, die sich ebenfalls für ein Topsharing interessieren?
O: Ein grosser Vorteil bei uns war, dass wir schon mehrere Jahre miteinander gearbeitet haben und sich in dieser Zeit ein enges Vertrauensverhältnis aufgebaut hat. Gibt es diese Vorlaufzeit nicht, sollte zuerst gut geprüft werden, mit wem und zu welchen Rahmenbedingungen ein Topsharing in Frage kommt. Das gegenseitige Commitment ist sehr wichtig. Chris und ich haben uns beispielsweise zu Beginn das Wort gegeben, dass wir für mindestens ein Jahr gemeinsam in diesem Setting bleiben.
"Das gegenseitige Commitment ist sehr wichtig."
C: Genau, dieses Gentlemen`s Agreement war uns beide wichtig. Ansonsten kann ich dem, was Oli gesagt hat, nichts mehr beifügen.
K: Herzlichen Dank Euch beiden für dieses Gespräch und weiterhin viel Erfolg bei Eurem Wirken als Rollenmodelle, insbesondere auch für Männer im Topsharing.
Zu den Interviewpartnern:
Christian Suter arbeitet seit 2006 bei der Swisscom in verschiedenen Funktionen. Seit dem 01. Januar 2021 teil er sich die Leitung des strategischen Einkaufs für indirekte Güter mit Oliver Oberli. Im Frühling 2020 schloss er erfolgreich das EMBA in Leadership und Management an der Berner Fachhochschule ab. Christian ist seit 6 Jahren mit seiner Freundin liiert und verbringt seine Freizeit im Sommer hauptsächlich mit Biken und Golfen sowie im Winter mit Unihockey spielen und Skifahren.
Oliver Oberli hat nach seiner Karriere in der Finanzbranche 2014 in den strategischen Einkauf der Swisscom gewechselt. 2018 hat er erfolgreich seinen MBA an der ETH in Zürich in Supply Chain Management abgeschlossen. Seit Anfang 2021 ist er im Co-Lead mit Christian Suter für den indirekten Einkauf von Swisscom verantwortlich. Oliver hat eine Frau und zwei kleine Kinder und verbfingt möglichst viel Zeit mit der Familie in der Natur. In seiner "Me-Time" treibt Oliver regelmässig Sport. Am liebsten unternimmt er Skitouren, geht joggen und spielt Tischtennis.
Toller Beitrag und toller Einblick!
Topsharing ist definitiv möglich. Ich freue mich auf weitere positive Beispiele!
Catharina